„Ich bin ein einfacher Mann“, sagt Tim Vantol. Woran er das festmacht? „Ich bin weder der beste Musiker, noch der beste Songwriter auf der Welt. Es gibt Millionen Leute, die besser Gitarre spielen oder ihre Stimme kontrollieren können als ich. Aber darum geht es nicht. Es ist wie mit abstrakten Gemälden. Da sagen die Leute gerne: Das hätte ich auch gekonnt. Tja, aber sie haben es nicht gemacht!“
Diese Einstellung trifft haargenau auf alles zu, wofür Tim Vantol steht – und das ist alles andere als abstrakt. Der Rock-Troubadour aus Amsterdam begeistert sein stetig wachsendes Publikum schon seit Jahren mit der Art von Musik, die dazu einlädt, Platz auf dem Sozius zu nehmen, den Sturzhelm ins Gebüsch zu werfen und sich mal wieder so richtig lebendig zu fühlen. Seine Songs sind voll von „roads“ und „homes“ und allem, was dazwischen liegt und die Reise so aufregend macht. Wer sich dabei an etwas festhalten möchte, kann das gut an Vantols Stimme tun, denn die ist ein stabiles, vertrauenswürdiges Exemplar und klingt in etwa so, wie es sich anfühlt, nach einem Bad in einem kühlen Bergsee von einem sonnengewärmten Handtuch abgetrocknet zu werden.
Wenn man Tim Vantol fragt, wovon sein neues Album „Burning Desires“ handelt, erzählt er einem eine Geschichte, die mit einem Umzug beginnt und fast in Bergnot geendet wäre. Der Reihe nach: Als der Sänger kürzlich seinen Hausstand ausmistete, stellt er fest, dass es durchaus befreiend sein kann, wenn man sich von all dem Wohlstandsplunder trennt, der einem so aufgeschwatzt wird. „Es macht Spaß, Dinge zu verkaufen und einfach weniger Bullshit zu besitzen“, sagt er. Die neue Leichtigkeit ging mit einer Lust am Unterwegssein einher, der Vantol aber nicht in den niederländischen Provinzen frönte, sondern am deutschen Alpenrand. Auf Tour hatte er gemerkt, dass es kaum etwas Befreienderes gibt, als an einem sonnigen Tag mit dem Auto durch die Berge zu fahren, wo es wenige Menschen gibt, dafür aber viel Grün, Weiß und Blau, das wohltuend auf die Seele abfärbt. Außerdem – so zumindest die Idee – kann der Musiker in der Abgeschiedenheit besser Songs schreiben.
Eines Nachts wurde es dann aber etwas zu abgeschieden. Tim Vantol und ein Begleiter hatten sich beim Bergsteigen verschätzt und waren bei Einbruch der Dunkelheit immer noch oberhalb der Baumgrenze. Professionelle Alpinisten wären wahrscheinlich nicht in T-Shirt und kurzen Hosen losgegangen, doch auch sie hätten ein Notlager in einer Felsspalte wohl einem Abstieg im Stockdustern vorgezogen. Inzwischen kann Tim Vantol über eine Nacht des Zitterns und Zähneklapperns lachen, aber wenn er damit fertig ist, muss auch er zugeben: „Wenn das zwei Wochen später im Jahr passiert wäre, säße ich wohl nicht mehr hier.“
Der Respekt vor der Bergwelt ist seitdem die eine Sache, die veränderte Perspektive auf das Leben insgesamt die andere. „Um zu wissen, was man hat, muss man manchmal einen Schritt zurücktreten“, sagt Tim Vantol. Das gilt zum Beispiel für den europäischen Reisepass, der es einem ermöglicht, überall hinzufahren, wo man will, während anderen Menschen noch die Flucht vor dem Krieg erschwert wird. Das gilt auch für alle Lebensentwürfe, die sich von dem der Eltern unterscheiden, denen der Bürojob, das Eigenheim und der Kleinwagen immer so viel Sicherheit gegeben haben. Und das gilt auch für das unstete Leben auf Tour, das der Sänger wesentlich besser kennt als den Weg ins Tal.
„I’m restless – but I’m satisfied“ heißt es auf „Burning Desires“, einer Platte, die nicht nur nach weiten Horizonten und der dazugehörigen Sehnsucht klingt, sondern auch nach dem Dreck unter den Stiefeln, der dabei manchmal anfällt. Weil jedes Tim Vantol-Album von der Zeit seit der letzten LP handelt, thematisieren die zehn neuen Songs zwischen aufgerauter Songwriter-Power und mitreißendem Flanell-Rock’n’Roll jene Balance zwischen Freiheitsliebe und Selbsterkenntnis, die für den Sänger das Erwachsenenleben ausmachen sollte. Stücke wie „The Hardway“ und Zeilen wie „Follow your heart/ Wherever it goes/ It’ll be alright /It’ll be fine“ scheinen zu suggerieren, dass Tim Vantol die Gewinnformel des Lebens gefunden hat, aber das ist wesentlich leichter gesagt als getan, wie er selbst zugibt. „Auf die Gefahr hin, mich anzuhören wie der Hippie, der ich nicht bin, aber bei vielem im Leben gilt: Wenn man es nie probiert, findet man es nie heraus. Der Versuch ist in meinen Augen schon ein Sieg.“
Wenn es also eine Gewinnformel gibt, ist es die leidenschaftliche Bereitschaft, genau diesen Versuch immer wieder zu unternehmen. Davon erzählen letztlich auch die Songs auf „Burning Desires“, die zwar höflich genug sind, um die Haustiere nicht zu verschrecken, aber dringlich genug, um keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit ihres Verfassers zu lassen. Für die Produktion der Platte und der ersten Single „Till The End“ zeichnet sich übrigens Adam Grahn (Royal Republic) verantwortlich, der vertraut wirkende Gastgesang auf dem Titeltrack kommt von Donots-Ingo. Falls jemand fragt.
Vielleicht noch einmal kurz zurück zu den abstrakten Gemälden. Manchmal, sagt Tim Vantol, sei ihm selbst nicht ganz geheuer, warum da so viele Leute im Publikum sitzen, die ihm zuhören wollen und die Kraft aus Songs schöpfen, die er doch eigentlich nur über sich selbst singt. „Manche Leute stellen eine Seifenkiste in einen leeren Raum und sagen, das sei Kunst“, sagt er. „Ich verstehe das zwar nicht, aber viele andere Leute schon. Ihnen bedeutet es etwas. Vielleicht ist das immer so, wenn man sich kreativ ausdrückt. Man muss nicht der begnadetste Künstler sein. Aber letzten Endes ist es deine Story. Und es gibt niemanden, der sie besser erzählen kann.“ Ein ziemlich guter Gedanke für einen einfachen Mann. timvantol.com